Großvater Fritz Seidenspinner gründete 1905 im Stuttgarter Westen eine Landschaftsgärtnerei, die Vater Emil im Jahr 1930 übernahm und in welchem Jörg Seidenspinner nach seiner Ausbildung zum Landschaftsgärtner und seinen „Wanderjahren“ in Schweizer GaLaBau-Betrieben für einige Jahre mitarbeitete. Mit 29 Jahren und mittlerweile Dipl. Gartenbauinspektor baute er einen eigenen Betrieb auf, der später mit dem des Vaters verschmolz. Grünes Blut in dritter Generation ließ das Herz von Jörg Seidenspinner von Anfang an für den Garten- und Landschaftsbau schlagen.
Im Gespräch mit Geschäftsführer Reiner Bierig ließ sich Seidenspinner, gut gewappnet mit einigen historischen Dokumenten auf eine Zeitreise ein und erzählte von den Anfängen und der von ihm miterlebten Entwicklung des GaLaBaus.
„Echten Wettbewerb gab es in den 30er Jahren eigentlich keinen. Die Kalkulation war noch nicht erfunden und Normen kannte auch noch niemand. Dies musste alles erst von engagierten Unternehmern im Verband erarbeitet werden. Eine Grundlage, von der heute der gesamte Berufsstand profitiert.
Der Großteil des Berufsstandes war überwiegend im öffentlichen Bereich tätig, doch bei uns spielten schon immer die Privatkunden die erste Geige. Damals machte jeder seine Angebote nach Gutdünken und Gartenliebhaber vergaben ihren Auftrag an denjenigen, der ihnen das Meiste für ihr Geld versprach, was nicht immer beide Seiten glücklich machte“,
wirft Seidenspinner ein. Nachverhandlungen bestanden maximal aus einer Skontoforderung und seinem Archiv entlockte er so spannende Informationen wie das erste Lohnabkommen in der Groß-Stuttgarter Landschaftsgärtnerei, das am 15.03.1928 in Kraft trat.
Danach erhöhten sich die Spitzenlöhne von 0,95 DM auf 1,03 Reichsmark pro Stunde. Urlaub war Luxusgut, es gab nach Ablauf des ersten Jahres zwei Tage, nach dem zweiten Jahr drei Tage und eine fortlaufende jährliche Erhöhung um einen Tag bis zur Höchstdauer von 10 Tagen.
In den 30er Jahren entwickelten Kollegen, die als Gartenarchitekten und Gartenausführende tätig waren, die ersten Kalkulationsgrundlagen, bei denen rund 100 Positionen, aufgeteilt in Vorarbeiten, Erdarbeiten, Wege und Mauern sowie Pflanz- und Rasenarbeiten, beschrieben waren.
1937 erschienen diese Unterlagen bereits in der dritten ergänzten Auflage und wurden inzwischen auch bei uns im väterlichen Betrieb verwendet, ergab seine Recherche.
Spannend sind auch die Aufzeichnungen von Berufskollegen, die festhielten, dass für die Reichsgartenschau Stuttgart damals nicht das billigste Angebot beim Auftraggeber zum Zuge kam, sondern das, welches der Kalkulation des damaligen Gartenamtes am nächsten lag.
Im dritten Reich konnte der Reichsverband einige Gesetze zum Schutz des Berufes erreichen. So waren zum Beispiel alle Erdarbeiten, wie der Abtrag von Mutterboden oder auch das Aufsetzen von Mieten, nur an Landschaftsgärtner zu vergeben.
„Nach dem Krieg war der Kontakt zu Kollegen durch die Besatzungszonen sehr schwierig und wir hatten kaum Maschinen. Der Wiederaufbau begann für mich als Mitglied der Vereinigung württembergischer Landschaftsgärtner und bei einer Mitgliederversammlung im Jahr 1956 wurde zum ersten Mal darauf hingewiesen, dass Nachkalkulationen vor zukünftigen Verlusten schützen können“,
lässt Seidenspinner diese Jahre Revue passieren.
1959 gab es in Stuttgart die erste Bundesarbeitstagung für Landschaftsgärtner, auf welcher die praktische Anwendung der Kalkulation, betriebswirtschaftliche Themen, aber auch erste arbeitsrechtliche Fragen, Inhalte waren. Natursteinimporte aus dem Ausland wurden zum ersten Mal in der Mitgliederversammlung im Jahr 1960 diskutiert.
1964 fand in Mainz die Gründungsversammlung des Fachverbandes deutscher Landschaftsgärtner (seit 1968 Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e.V.) statt, bei der sämtliche Landesverbände vertreten waren.
„Mit dem Aufschwung kamen die ersten Raupenfahrzeuge ins Spiel. Radlader gab es ab Mitte der 60iger Jahre und die konnte man sich nur mit einem Großauftrag in der Tasche leisten. Unseren ersten Radlader kaufte ich vor der Bundesgartenschau in Stuttgart (1977), für die wir einige Aufträge ausführten, das muss wohl 1975 gewesen sein“,
überlegt Seidenspinner.
Mit dem Bau der ersten großen Siedlungen im Raum Stuttgart, wie beispielsweise für die Neue Heimat in Stuttgart im Jahr 1970, begannen die Verhandlungen mit den Auftraggebern spürbar härter zu werden. Fünf Kollegen und ich schlossen uns damals zur ARGE „Grünanlagen GmbH“ für die Pflege und Anlage öffentlicher Projekte in Stuttgart zusammen. Ob solch ein Zusammenschluss in der heutigen Zeit durch die immer komplizierter werdende Rechtslage noch praktizierbar wäre, bezweifelt Seidenspinner, der 1996 die Firmengeschäfte an seinen Sohn Hans Jörg Seidenspinner übertrug.
Bereits seit 1970 arbeitete Seidenspinner in verschiedenen Ausschüssen des Bundesverbandes mit. 1972 wurde er als Schatzmeister der württembergischen Landschaftsgärtner gewählt und dies war der Startschuss in Sachen Ehrenamt.
Am 03. Mai 1975 fand die konstituierende Mitgliederversammlung des Verbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Baden-Württemberg e.V. in Freudenstadt statt – ein Meilenstein in der Verbandsentwicklung, der gleichzeitig ein weitsichtiger Schritt im Hinblick auf die Eigenständigkeit der gewerblichen Garten- und Landschaftsbaubetriebe war. Dass damals nur 71 stimmberechtigte Mitglieder anwesend waren, scheint im Nachhinein nicht am Erfolg dieses Verbandes gekratzt zu haben. Jörg Seidenspinner wurde bereits bei der Gründungsversammlung als Schatzmeister in den Vorstand gewählt und arbeitete von 1987 bis 1995 als Vorsitzender bzw. Präsident an vorderster Front: Kein Brief verließ die Geschäftsstelle, ohne dass er darüber informiert war.
„Schon im Gründungsjahr zählte unser Verband 460 Mitgliedsbetriebe, die einen jährlichen Gesamtumsatz von ca. 165 Millionen Euro erwirtschafteten. In den kommenden 25 Jahren stieg dieser auf nahezu 750 Millionen Euro pro Jahr an. In dieser Zeit konnten viele neue Tätigkeitsfelder wie Dach- und Fassadenbegrünung, Regenwassermanagement, Schwimmteichbau, Ingenieurbiologie und Pflanzenkläranlagen erschlossen und ausgebaut werden. Die öffentlichen Auftraggeber wurden zum Zugpferd der Branche.
Erst seit 1990, bedingt durch knappe öffentliche Kassen, ist hier ein Wandel festzustellen, der leider bis heute anhält“,
fasst Seidenspinner zusammen. Anfangs war die Geschäftsstelle des VGL mit ihren zwei Mitarbeitern im Hause des Württembergischen Gärtnereiverbandes untergebracht. 1984 zog die Geschäftsstelle für zehn Jahre in einen Anbau dieses Hauses, um sich 1995 mit einer eigenen Immobilie erneut zu vergrößern.
„Eine weitere richtige und wichtige Entscheidung, auch wenn mit dieser im Vorfeld viele heftige Diskussionen und so mancher Austritt eines Mitglieds einhergingen“,
erklärt Seidenspinner, der diesen Umzug noch als Präsident miterlebte. Parallel zu seiner Arbeit als Vorsitzender in Baden-Württemberg, war Seidenspinner von 1984 bis 1987 Mitglied des Präsidiums beim Bundesverband und davon das letzte Jahr Vizepräsident.
Von 1979 bis 1995 gehörte er zudem dem Hauptausschuss des BGL an. 1995 wurde er zum ersten Ehrenpräsident des VGL benannt und noch im selben Jahr mit den Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
Heute, fast 20 Jahre später, ist das Haus der Landschaftsgärtner Dreh- und Angelpunkt der baden-württembergischen Branche, Ort für unzählige Weiterbildungen, Seminare, Sitzungen und Versammlungen.
„Allzu oft bin ich nicht mehr in Musberg, aber noch immer spüre ich, dass sich hier sowohl die Mitarbeiter als auch die Mitglieder sehr wohl und immer willkommen fühlen“,
schildert der „Ex“, wie er insgeheim, aber mit viel Respekt vom Hauptamt genannt wird.
„Von Anfang an hatte die Ausbildung bei uns einen hohen Stellenwert, denn wir als Entscheider erkannten früh, dass sich betrieblicher Erfolg nur mit qualifizierten Mitarbeitern einstellt“,
macht Seidenspinner eindrücklich klar. Eine der vorausschauendsten Entscheidungen dieser Zeit war sicherlich die Gründung des Ausbildungsförderwerks, dessen finanzielle „Last“ durch eine Umlage auf alle in der Branche tätigen Betriebe verteilt wurde.
„Im Herbst 1978 starteten die ersten Kurse an der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau (LVG) in Heidelberg, übernachtet wurde damals noch in der Jugendherberge und die verschiedenen Ausbilder kamen direkt aus den Betrieben, manchmal auch nur für ein oder zwei Tage“,
schildert Seidenspinner. Heute ist die Überbetriebliche Ausbildung in einem Neubau inkl. Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Gelände der LVG untergebracht und aktuell wurde gerade eine großen Übungshalle fertiggestellt.
Eine weitere zukunftsweisende Entscheidung, die Seidenspinner als Präsident aktiv vorantrieb, war die Gründung der Förderungsgesellschaft für die Baden-Württembergischen Landesgartenschauen mbH (FGS), als kompetenter Partner der Städte und Gemeinden.
„Hierauf drängten vor allem wir Landschaftsgärtner, denn das gesamte Gartenschaumanagement befand sich damals noch in den Händen des Produktionsgartenbaus“,
so Seidenspinner, der in den Gesprächen sehr viel Fingerspitzengefühl und Verhandlungsgeschick bewies.
Den Bau der Reichsgartenschau in Stuttgart 1939 erlebte der Unternehmer mit fünf Jahren und die Faszination, die dieses Ereignis auf ihn ausübte, ließ ihn sein ganzes Leben nicht mehr los. So wurde Seidenspinner Gründungsmitglied der FGS, war von 1992 bis 1994 Vorsitzender der Gesellschafterversammlung sowie zudem im Aufsichtsrat von sieben Landesgartenschaugesellschaften aktiv. 1980 fand die erste Landesgartenschau in Ulm statt, 2014 ist sie in Schwäbisch Gmünd und eines ist sicher, Jörg Seidenspinner und seine Frau Renate werden auch diese Landesgartenschau nicht verpassen.
Dem heutigen Vorstand des VGL hat Jörg Seidenspinner große Fußstapfen hinterlassen, die mittlerweile von einer Dreierspitze ausgefüllt werden, in welcher Thomas Heumann Vorstandsvorsitzender ist.
„Kein anderer hat den VGL mit so vielen maßgeblichen Entscheidungen an vorderster Front geprägt wie Jörg Seidenspinner. Bei diesem Rückblick kann ich nur den Hut vor ihm ziehen. Was er als Person und diese Generation insgesamt alles aufgebaut, vorangetrieben und geleistet haben, vieles dabei in weiser Voraussicht, ist fast unglaublich. Wir haben große Achtung vor diesem mit ganzem Herzen gelebten Engagement im Ehrenamt. Deshalb werde ich meine herzlichen Glückwünsche zum 80. Geburtstag Jörg Seidenspinner auch ganz persönlich überbringen,“
so Thomas Heumann.
https://www.galabau-bw.de/joerg-seidenspinner.aspx